Seed. Science & Culture.


seedmag

Seed trägt den Untertitel "Beneath the Surface" und beschäftigt sich laut Eigenauskunft auf dem Cover mit "Science & Culture". Kommt aus Kanada, kostet 4,95 USD, das Etikett mit dem Euro-Preis habe ich leider abgepult, gekauft habe ich es im Hamburger Hauptbahnhof, dürfte in Deutschland also im gut sortierten Zeitschriftenhandel erhältlich sein.

Eine Website gibt es auch, leider ist sie nicht besonders aussagekräftig.

Das Mission Statement lautet:

SEED is the first and only global science & culture magazine. Currently available in over 15 countries, SEED was recently named one of the 30 most notable international magazine launches of the year. As the world's conversation becomes increasingly science-centric, SEED will shape that dialogue. SEED is the new face of science: global, culturally-relevant and market-savvy. Our readers are somewhere between 25 and 45. Curious, influential and culturally-aware, they comprise a new generation of young professionals who are obsessed with substance; science is a part of their culture. And SEED defines their scene. SEED brings them the information that only we know they need. From business to the arts, current events to design, SEED seeks out the ideas, trends and celebrities that are influencing science's place in culture and culture's place in science. Bold, modern and provocative, each issue of SEED captures the zeitgeist and redefines science's place in popular culture.

Für mich interessant ist, dass es sich bei Seed um das einzige mir bekannte Zeitschriften-Konzept handelt, Wissenschaft hip zu machen, als Bestandteil der Pop-Kultur zu behandeln, mit ein wenig Glamour auszustatten. Wired macht das ja nur mit den Wissenschaften, die sich mit IT und ähnlichem befassen, bei Seed sind das durchaus auch die ganz normalen Naturwissenschaften. Finde ich vom Ansatz her nicht uninteressant.

Mir liegt die Ausgabe 2 vor, die ich im folgenden kurz durchgehen will.

Umfang: 138 Seiten, das Verhältnis editorials/Anzeigen ist geschätzt 70:30, also ganz angenehm.

Das erste, was mir auffällt, ist ein außerordentlich hoher Anteil an klassischen Lifestyle-Anzeigen: Dior, Bang & Olufsen, Evian, Swatch, Puma usw., also nicht wirklich, was man in einem Wissenschafts-Magazin erwartet.

Inhalt:

Features:

  • Ein recht ausführliches Interview mit Bjorn Lungberg, das ist der Autor des "Sceptical Environmentalist", ein dänischer Statistiker, der vielen Öko-Bewegten und Globalisierungs-Gegnern damit auf die Nerven geht, mit recht akribischen Statistiken vorzuführen, dass der Umweltverschmutzungs-Alarmismus nicht berechtigt ist.

  • Eine Geschichte über das Aussterben nomadischer Kulturen. Was die Welt dadurch verliert, dass sie nomadische Lebensweisen immer unmöglicher macht, warum Nomadentum für die Entwicklung der Menschheit immens wichtig war usw.

  • Ein Portrait von Rhys Ifans, der im Film "Human Nature" die Hauptrolle spielt, in dem es um das alte Verhältnis von Wildheit/Zivilisation geht.

  • Eine Reportage über die Tisza, einen extrem verschmutzten ungarischen Fluss. Ziemlich bedrückender Text, eindrucksvolle Fotos.

  • Ein Interview mit dem 92jährigen William T. Golden, eine Art elder statesman amerikanischer Wissenschaft, hat Truman und jetzt George W. Bush davon überzeugt, dass es sinnvoll ist, science advisors im Weißen Haus zu beschäftigen. Themen: Wissenschaftspolitik, Wissenschaft und politische Eliten usw.

  • Wissenschaftsgeschichte: Ein recht langer, verklatschter Artikel über die Leute, die die DNA entdeckt haben, Rivalitäten, Eifersuchtsdramen, Liebesgeschichten und wie das alles in die Wissenschaft hineingewirkt hat.

Lange Strecken:

Neben den genannten Artikeln gibt es noch drei längere Strecken, die recht deutlich den Lifestyle-Zugang von Seed demonstrieren.

  • Tränen: Fotostrecke mit ganzseitigen SW-Portraits von Menschen beim Weinen. Fotografin: Malina Corpadean. Bis auf einen sechszeiligen Vorspann kein Text (wie man möglicherweise in einem science mag erwartet), dafür aber Label-Angaben über die Klamotten der Abgebildeten. Will also als eine Art Modegeschichte daherkommen, was nicht ganz funktioniert, weil die meisten Klamotten als "vintage" ausgewiesen werden.

  • Modestrecke: 8 Doppelseiten "La Boheme" mit Ethno-Folklore-Gypsy Look, ganz passabel fotografiert (Farbe/SW gemischt), einigermaßen modern, aber ein wenig spießig, so Hippie-Blümchensex-mäßig.

  • Unterwasserfotografie: 4 je doppelseitige Unterwasser-Farbfotos eines US-Meeresbiologie-Instituts, auf denen ein archaisches, bläulich schimmerndes, sehr schönes Viech mit langen Tentakeln in 3 km Tiefe rumschwimmt. Text: Vorspann, das wars.

Rubriken:

Die Rubriken sind unter den Namen "scene/briefs" und "scene/resumes" zusammengefasst.

In den briefs gibt es eher lustiges, verschmunzeltes, klassisch Vermischtes aus der Welt der Wissenschaft. Lustige Fall-Versuche mit dem Euro (öfter Zahl, öfter Kopf?), eine von einem koreanischen Wissenschaftler im Regierungsauftrag geschriebene Broschüre über Furze, lesbische Paare mit Babywunsch und dergleichen mehr. Na ja.

In den resumes stehen eher "härtere" Meldungen aus der Welt der Wissenschaft. Der Heisenberg-Brief, Patentgesetze in Japan, eine Studie über die Zunahme von Kriegen, die wegen natürlicher Ressourcen geführt werden (Diamantenminen, Wasser usw.), der Biotech-Boom in England. Nicht uninteressant.

Dazwischen: Einseitige, mit SW-Fotos bebilderte Mini-Portraits über einen Amateurkosmonauten, eine Dino-Forscherin und einen Künstler; eine Stockholm-Seite; eine Seite mit kleinen Buchempfehlungen; ein Kalender mit Terminen, die für science buffs interessant sind und eine smalltalk Seite.

Layout: Versucht eine Balance zwischen lifestyle mag-Modernismus und diskreter Zurückhaltung, stört nicht weiter, rockt aber auch nicht wirklich. Was die Typos betrifft, können sie sich nicht ganz entscheiden zwischen serif und serifenlos für die Headlines, ein bißchen Verzicht täte dem Blatt ganz gut. Die Fotografie hat zwei Höhepunkte - die Öko-Reportage und die Unterwasserfotos. Für meinen Geschmack gibt es zu viele dunkle SW-Fotos, scheint ein Konzept zu sein, man weiß bloß nicht so genau, wofür.

Gesamturteil: Den Ansatz finde ich vielversprechend, nachvollziehbar und sehr interessant. Ich glaube, dass es mittlerweile eine Menge Leute gibt, die in einem Universum von popular culture aufgewachsen sind und sich für Wissenschaft in einer Form interessieren, die zwischen hardcore Wissenschaftspublikationen und dem verzopften Volkshochschultum sagen wir von Geo Science usw. liegt. Die seed-Verwirklichung dieses Gedankens überzeugt mich aber noch nicht wirklich, nicht uninteressant, was da drin steht, aber mir fielen da noch viel bessere Geschichten ein, die den Ansatz deutlicher werden ließen. Und es gibt da noch zu viele Fehlentscheidungen: die Modegeschichte steht da komplett zusammenhanglos rum und hat aber auch gar nichts mit dem Konzept zu tun; dabei ließen sich klasse Modegeschichten produzieren, die den nerd, den Laboranten und den mad scientist ansprächen. Und am Einstieg müssen sie auch noch was tun, um sich von den vermischten Science-Seiten von Spiegel und Focus zu unterscheiden, ein wenig mehr attitude stünde dem Blatt nicht schlecht.



 
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